Samstag, 22. August 2015

Hegel der Staat und die Krise Europas


Als der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen Berliner Vorlesungen einst den preußischen Staat bejubelte, verblüffte er seine Studenten mit folgendem Gedanken. Warum ist der preußische Staat ein so herrliches Gebilde? Die Antwort: weil er den höchsten Stand der geschichtlichen Vernunft verkörpert. Oder um Hegels Hammersatz aus dem Jahr 1820 noch einmal in seiner ganzen Pracht zu zitieren: "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig."

Unter den kritischen Intellektuellen verursachte der Satz damals einen Aufschrei, und sie verstanden ihn so, wie er anfangs gemeint war: Der Staat hat immer recht, er ist die Wirklichkeit der Vernunft. Der Staat ist für Hegel die Vernunft gewordene Wirklichkeit. Hier wird Philosophie zu einer gefährlichen Verklärung des Diesseitigen. Diese Staatsphilosophie ist eine gefährliche Verdrehung der Wirklichkeit. Bekanntlich war es der Linkshegelianer Karl Marx, der den Satz revolutionär auf den Kopf stellte: Die Wirklichkeit ist nicht vernünftig, denn sie besteht aus Unterdrückung, Elend und Ausbeutung. Die Wirklichkeit ermächtigt dazu, sie zu verändern.

Geschichte wiederholt sich, solange wie die Widersprüche nicht beseitigt sind. Ist das nicht genau die Situation, in der sich Europa heute befindet? Die Verteidiger des Brüsseler Apparats argumentieren lippensynchron mit dem staatsfrommen Hegel: Die Vernunft wohnt in den Institutionen, sie sind alternativlos, es gibt nichts Besseres. Demnach wären die Herren Dijsselbloem und Schäuble die Personifizierungen des obwaltenden Weltgeistes. Man muss ihnen vertrauen, vor allem aber: Man muss ihnen gehorchen.

Es ist klar, wer die Rolle der Linkshegelianer einnimmt, es sind Syriza, Podemos und die Intellektuellen aus aller Herren Länder, die sich über das "preußische" Brüssel empören. Wie ihre rebellischen Vorfahren drehen sie den Spieß um und sagen: Die Wirklichkeit ist unvernünftig, sie ist autoritär, und ein deutsches Europa habe sowieso niemand gewollt. Europa droht, straft, demütigt, und egal, was das Volk sagt – Brüssel setzt allgemeine Regeln durch, ohne Rücksicht auf die besondere gesellschaftliche Lage, in der diese zur Anwendung kommen. Die EU serviert den unterschiedlichsten Nationen eine neoliberale Einheitsmagerkost, bei der selbst Wirtschaftsexperten übel wird. "Denk ich an Europa in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht."

Geschichte wiederholt sich nicht, aber es kann nicht schaden, aus ihr zu lernen. Der autoritäre Geist und die kompromisslose institutionelle "Vernunft" helfen vielleicht für den Augenblick und lassen die Wankelmütigen und Abtrünnigen noch einmal widerwillig strammstehen. Aber das bleibt nicht so. Entweder kommt Europa zur Vernunft und wird wahrhaft demokratisch – oder die Geschichte wiederholt sich doch, und dann kommt das Volk, "der große Lümmel" (Heinrich Heine), und baut seine Barrikaden.

Für Hegel ist die Geschichte ein Prozeß, der das Kommen der Wahrheit - des Geistes vollbringt. Nach Hegel zeigt sich dieser Geist in der Freiheit, genauer: den Freiheitskämpfen der Menschen. Nur wenn Unterdrückte um ihre Freiheit ringen, unter Umständen sogar ihr Leben dafür geben, kann Geshcichte sich vollzien, Fortschritt sich ereignen.

Weblink:

Weltgeist Schäuble - www.zeit.de

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