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Samstag, 24. Februar 2024

Arthur Schopenhauer als Philosoph der Krise

Arthur Schopenhauer


Arthur Schopenhauer Denken wurde stark geprägt zum einen von Platon, insbesondere von dem sogenannten "Höhlen-Gleichnis". Dort zeigt sich für ihn eben das "Erkennen", das zugleich ein "anderes Sein" bedeutet. Es ging für Schopenhauer nicht mehr darum die Gegenstände besser zu sehen, sondern in der Sonne zu sein.

In der Krise haben Denker und Philosophen Konjunktur, denn jede Krise will bewältigt und überwunden werden und gerade in der Krise sind Meinungen gefragt, welche die Menschen als Hilfe, Ratgeber und Anweisungen verstehen können.

Und so gibt immer wieder Philosophen, welche selber leidhafte Erfahrungen gemacht oder Leid erfahren haben und aus dieser Grunderfahrung heraus das Leid zu einer Philosophie ausgebaut haben.

"Das Leben ist eine missliche Sache, ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen über dasselbe nachzudenken." So begründete der junge Arthur Schopenhauer gegenüber dem 78jährigen Dichter Wieland in Weimar seine Absicht Philosophie zu studieren.

Für Schopenhauer gibt es vor allem Unglück auf Erden, Verzweiflung, Krankheit, Ungerechtigkeit. Der Einwand, daß es auch Glück auf Erden gibt, sticht bei ihm nicht. Denn Glück, Lust oder Befriedigung sind nichts als eine Täuschung.
Schopenhauer sieht in der Welt einen blinden, furchtbaren Universalwillen am Werk.

Eine Erlösung sieht er in der Weltverneinung. Der Mensch muß sich zur Intersselosigkeit, zur Askese durchringen und so leben, wie es die Heiligen oder die indischen Yogis tun. Diese erhoffen sich nichts mehr vom Dasein, der WIlle ist in ihnen ausgelöscht.


Die Bewältigung einer Krise hat sehr viel mit ihrem Erkennen ihrer Symptome zu tun.

Schopenhauer gilt als Vertreter des Pessimismus, der das Leben als Leiden definiert hat. "Die Welt ist die Äußerung einer unvernünftigen und blinden Kraft; in ihr zu leben heißt leiden."

Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Hegel bestritt Schopenhauer, daß sich der Fortschritt auf Erden um Guten hin entwickelt. Und in dieser Annahme scheint ihn dieses Jahrhundert mit seinen Weltkriegen, Atombomben oder seinen Hunger-, Flüchtlings- und Umweltkatatrophen laufend zu bestätigen und Recht zu geben.

Woher aber kommt Zuversicht in schwierigen Zeiten? Von der kritischen Jugend.

Weblink:

Arthur Schopenhauer Biografie

Samstag, 10. Februar 2024

Der Karneval als kynische Offensive


Im Karneval herrscht Narrenfreiheit, bei der während der närrischen Zeit mit Spott und Satire auf die bestehenden Verhältnisse reagiert und ausgelassen gefeiert wird.

Der Karneval erfüllt seinen gesellschaftlichen Zweck, denn er dient als ein Ventil für die Ausgelassenheit Massen. Dampf abladen und seinen Gefühlen freien Lauf lassen, wo es sonst im Alltag nichts zu lachen gibt. Eine Zeit der Maskierung, Feierstimmung und Enthemmung.

Im Karneval Der Karneval hat ein antikes Vorbild: den Kynismus. Die athenische Öffentlichkeit wurde von der kynischen Offensive elektrisiert.


Der antike Kynismus war philosophisch betrachtet, eine plebejische Antithese gegen den Idealismus des Athener Bürgertums. Der antike Kynismus ist eine erste Replik auf den athenischen Herrenidealisimus. Er redet nicht gegen den Idealismus, er lebt gegen ihn. Doch damit nicht genug, der Kynismus gibt der Frage, wie man die Wahrheit sagt, eine neue Wendung.

Der antike Kynismus ist prinzipiell frech. In seiner Frechheit liegt seine Methode. Der antike Kynismus begann mit einem Prozeß der nackten Argumente aus der Opposition, getragen von der Macht, die von unten kommt. Der Kyniker furzt, scheißt, pißt, masturbiert auf offener Straße vor den Augen des athenischen Marktes. Er verachtet den Ruhm. Er liegt in der Sonne, scherzt mit den Huren und sagt zu Alexander dem Großen, er möge ihm aus der Sonne gehen.

Weblink:

Nicht lachen - Philosophie Runde

In Thüringen treten Narren auf, die einen kräftigen Schluck aus der Flasche der Anarchie genommen haben.

Samstag, 14. Januar 2023

Das Sinnproblem in der heutigen Zeit


Häufig wird in der heutigen Zeit die Frage nach dem Sinnproblem gestellt. Die moderne Gesellschaft ist dabei auf seltsame Weise gespalten: Den Menschen scheint der Sinn für ihr Sein auszugehen, vielen erscheint die Welt immer mehr sinnentleert. Nichts ist schlimmer als eine Gesellschaft, welcher der Sinn ausgeht. Technisch gesehen erscheint sie dagegen immer fortschrittlicher. Der Fortschritt ist der Fetisch der modernen Industriegesellschaft. Auf die Frage kann man sicher die verschiedensten Antworten geben.

Das Sinnproblem liegt sicher nicht zuletzt an der Technisierung unserer Welt, denn die Technisierung der Welt bringt mit sich einen gewissen Fortschrittsglauben, mit dem unsere Väter etwa in den Ersten Weltkrieg hineingeschritten sind. Dass dieser Fortschrittsglaube von der Technik zum mindesten nahegelegt wird, ist ja ohne weiteres verständlich. Wenn man sich einmal an die Geistesgeschichte erinnert − sei es an die Geschichte der Dichtung, der Kunst oder der Philosophie −, beobachtet man ja, dass jede Generation von vorne anfangen muss.

Philosophisch gibt es heute im Prinzip keine anderen Problemsätze als bei den Vorsokratikern, und darum sind die führenden Philosophen ja im Wesentlichen auch Interpreten dessen, was etwa frühere Philosophen gesagt haben.

Jede Generation fängt von neuem an. Keiner kann von seinem Vater eine Weltanschauung erben, und selbst wenn er, sagen wir einmal, ebenfalls Christ ist wie seine Eltern, dann ist er es in einem echten Sinne doch nur, wenn er durch eigene Anfechtungen hindurchgegangen ist und jenes Richtunggebende auf seinem Weg erlitten und erfahren hat.

Jede Generation fängt − geistesgeschichtlich − von neuem an, aber technisch ist das anders: Wenn man ein Kriegsschiff sieht oder einen Düsenjäger oder ein Elektronengehirn, dann weiß man: hier sind ganze Generationen von Technikern miteinander am Werk; hier steht einer auf den Schultern des anderen. Keiner fängt neu an.

Während es in der Geistesgeschichte Rückschläge gibt und auch Epigonen und Dekadenz-Erscheinungen eintreten nach Höhepunkten, ist das in der Technik anders. Die Technik kennt keine Rückschläge in diesem Sinne. Sie schreitet voran, und es ist schlechterdings undenkbar, dass nach unseren prachtvollen Autos mit ihrer hohen PS-Zahl und ihrer guten Straßenlage noch einmal plötzlich hochrädrige, stinkende, pannenreiche Benzinkutschen die Straßen erfüllen würden.

Weblink:

Die Frage nach dem Sinn unseres Lebens - www.der-uebersee-club.de

Samstag, 7. Januar 2023

Aktionismus als Form politischen Handelns

68er Demo


Aktionismus ist ein zulässiger, bewußter Verstoß gegen rechtliche Normen und eine moralische Grundrechtsverletzung. Aktionismus ist eine zeitgemäße Ausdrucksform zivilen Ungehorsams, wenn die Politik keine zufriedenstellende oder unzureichende Lösungen für dringende Probleme herbeiführt. Er ist Ausdruck des Bestrebens, das Bewusstsein der Menschen oder bestehende Zustände durch (provozierende, revolutionäre, künstlerische) Aktionen zu verändern.

Junge Menschen gehen auf die Strasse, um ihrem Protest zum Ausdruck zu bringen und ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen . Sie verstehen sich als Teil einer sozialen Bewegung, die sich für eine gesellschaftliche Veränderung engangiert. Auch für den Protest der Unzufriedenen gilt Kants Devise: »Habe Mut, dich deines Verstandes zu bemühen.« im Hinblick auf die Wahl der zulässigen Mittel des Protestes gegen nicht länger hinnehmbare Zustände.


Der Begriff »Aktionismus« unterstellt betriebsames, unreflektiertes oder zielloses Handeln ohne Konzept, um den Anschein von Untätigkeit oder Unterforderung zu vermeiden oder zu vertuschen. Wenn Politik allerdings keine dringenden Probleme der Zeit lösen kann, ist Aktionismus eine durchaus zulässige Form des Protests. Aktionismus kann auch bedeuten, dass viele Projekte diskutiert oder begonnen, aber nicht zu Ende geführt werden.

Aktionismus ist ein vor allem dem Anarchismus zugeordnetes Konzept direkten, unmittelbaren und nicht durch Stellvertreter geführten Handelns. Aktionismus bedeutet zunächst das eigene, nicht symbolische widerständige Tun. Dabei überwindet der Aktionismus die Mittel-Zweck-Relation. Aktionismus zeigt sich in einer Vielfalt subversiver Handlungen. Die Aktion selbst ist Ausdruck eines subversiven Lebens und wird dabei nicht in Bezug auf sichtbare Auswirkungen auf die politische Ordnung bewertet, da sie für sich als Verschiebung der Machtverhältnisse gewertet werden kann.

Aktionnismus ist letztlich nur dann erfolgreich, wenn bei dem zugrundeliegenden Problem eine bretien Veränderung des Bewußtseins herbeiführt, welche zur Lösung des Problems führt. Im politischen Aktionismus scheint es von Bedeutung, die eigene Person als Widerstandspunkt und Widerstand selbst als Entwicklung alteritärer Lebensverhältnisse zu begreifen und so den Risiken repräsentativer Politik-Konzepte zu entgehen.

Soziale Bewegungen stehen immer wieder vor der sich ewig wiederholenden und immer wieder neue Auseinandersetzung hervorrufenden Frage: Mitmachen und mit dem System leben oder es von außen durch neue Wege verändern? Welcher Weg führt am besten zum Ziel?

Die sich stellende Grundfrage lautet: Ist ein Integrationswilliger erfolgreich, der in das System hinein geht, mitmacht, dessen Positionen damit zunächst akzeptiert und es eventuell schafft, von innen etwas zu verändern? Oder ist es zielführender, autonom eine eigene Position zu entwickeln und sich zu bemühen, diese zu realisieren, ggf. in Protest gegen das System von außen?

Mit dem Strom oder gegen den Strom. Was führt zum Ziel? Ist Aktivismus geeignet, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken oder ist es sinnvoller, sich durch Mitmachen in das System zu begeben?

Der deutsche Philosoph Rudolf Eucken (1846 – 1926) prägte 1915 den Begriff und propagierte einen nach-kantianischen „neuen Idealismus“. Er bezeichnete ihn auch als „schöpferischen Aktivismus“ (ab 1907, Aktivierung der gemeinsamen schöpferischen Kraft aller Menschen). Der Begriff erfuhr bald eine Wandlung und wird verwendet als Bezeichnung für politisches Handeln.

Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entstanden mit den ‚neuen sozialen Bewegungen‚ (Frauenbewegung, Schwulenbewegung, Umweltbewegung) vielfältige Formen von Aktivismus. Sie waren oft gekennzeichnet von einer Kombination aus dem Übernehmen als wirksam etablierter Strategien der Organisation und neuen offenen, demokratischen Handlungsformen.

Auf konkrete Missstände und Defizite hinweisen, auf konkrete Veränderung bestehender Verhältnisse hinwirken, mit diesen Anliegen ist Aktivismus eine Form politisches Handelns. Michel Foucault beschäftigte sich intensiv mit dem Machtbegriff und der Analyse von Machtverhältnissen. Er zeigt bei der Frage des politischen Handelns, des Infragestellens vorhandener Machtverhältnisse auf die (seiner Ansicht nach den Machtverhältnissen bereits innewohnenden, „wesenhafter Antagonismus„) Handlungsmöglichkeiten der „widerspenstigen Freiheit„, die Machtbeziehungen ändert.

Foucault sieht Kritik als Mittel, sich von der Macht eines anderen zu befreien und sich frei in Bezug auf eine Sache zu verhalten.

„Aber zugleich muß die Freiheit sich einer Machtausübung widersetzen,
die die letztlich danach trachtet, vollständig über sie zu bestimmen.“


Michel Foucault, Subjekt und Macht, S. 287


Hannah Arendt beschreibt den in ihrem handlungs-orientiertes Politikverständnis wesentlichen Begriff ‚ziviler Ungehorsam‚:

„wenn eine Reihe von Menschen in ihrem Gewissen übereinstimmen und sich diese Verweigerer entschließen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich Gehör zu verschaffen.“

Hannah Arendt, Rede ‚Ziviler Ungehorsam‘, S. 71


Einer der Väter der ‘gewaltfreien Aktion’ als Form politischen Engagements ist der amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp. Macht ist Sharp zufolge das Ergebnis einer Übereinkunft. Ausüben von Macht setzt das stillschweigende Zustimmen der (oft ‘schweigenden’) Mehrheit voraus.

Wer nicht mehr schweigt, bekommt Werkzeuge in die Hand, Gesellschaft so zu gestalten, dass sie im Interesse der Menschen ist. Mittel der Wahl dazu ist Sharp zufolge die ‘gewaltfreie Aktion’ (Gewaltfreiheit war später auch eines der wesentlichen Merkmale der Aids-Aktionsgruppen ACT UP).

Knut Cordsen setzt den Aktivismus der Gegenwart – von »Fridays for Future« bis zu Greenpeace im Außenministerium – in einen historischen Kontext. Sein Buch ist reich an Lehren, die Aktivist:innen aus ihrer gut 100-jährigen Geschichte ziehen sollten. Dabei wird deutlich, wo Aktivismus in seiner Kultur der Anklage auch über Ziele hinausschießt und das selbst niemals wahrnimmt. Am spannendsten am Beispiel der Twittersphere zeigt Cordsen die blinden Flecken von Aktivisten und Aktivistinnen, ihre Selbstgerechtigkeiten und seziert die Mechanismen sich selbst verstärkender Systeme (Filter Bubbles).

Literatur:

Die Weltverbesserer: Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
Die Weltverbesserer: Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
von Knut Cordsen

Samstag, 5. November 2022

Musk Absolutist der freien Rede

Elon Musk Twitter

Kürzlich bezeichnete sich Musk als »Absolutist der freien Rede« - also ein Monarch auf dem Meinungsthron. Ist das Selfmade-Ich Elon Musk gar ein »Fichtianer«, wenn er die freie Rede verabsolutieren muss? - Freie Rede bedeute, dass »jemand, den man nicht mag, etwas sagen kann, das man nicht mag«. Und dies sollte auch im Leitmedium des digitalen Zeitalters möglich sein, also auf Twitter.

Elon Musk will also den politischen Dialog ausgerechent durch Twitter wieder auf gesundere Beine stellen. Das wäre mindestens so verdienstvoll wie die Neuerfindung des Elektroautos oder seine unternehmerischen Pioniertaten im Weltraum.

Musk betont, daß er mit dem Kauf von Twitter politische Ziele verfolge. Er will sich zum ersten Kaiser des neuen Amerikanischen Imperiums ausrufen lassen.Man kann sich nicht vorstellen, daß Elon Musk anders sein soll als alle anderen Globalisten auch. Was zählt ist Geld und Macht und nichts anderes.

Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814) wusste über das Recht der freien Rede in seiner »Rede« kundig vorzutragen:


»Da jedoch dieses Recht des freien Mittheilens sich auf kein Gebot, sondern bloss auf eine Erlaubniss des Sittengesetzes gründet, und demnach, an sich betrachtet, nicht unveräusserlich ist; da ferner zur Möglichkeit der Ausübung desselben die Einwilligung des Anderen, sein Annehmen meiner Gaben, erfordert wird: so ist es an sich wohl denkbar, dass die Gesellschaft einmal für alle diese Einwilligung aufgehoben, dass sie sich von jedem Mitgliede beim Eintritt in dieselbe hätte versprechen lassen, seine Ueberzeugungen überhaupt niemandem bedankt zu machen.«


Die freie Rede im Internet kann auch eine Illusion sein, die viel Geld kostet und nichts einbringt.
Ob die Rechnung von Musk aufgeht, wird sich in der Zukunft zeigen.

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Montag, 19. September 2022

Nationalstolz von Arthur Schopenhauer


»Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.«

Quelle:

»Parerga und Paralipomena, Aphorismen zur Lebensweisheit«, Von dem was einer vorstellt. pp. 360

Samstag, 17. September 2022

Religionen als menschengemachte Fallen

Die philosophische Hintertreppe: 34 großen Philosophen in Alltag und Denken
Die philosophische Hintertreppe:
34 großen Philosophen in Alltag und Denken

Der ehemalige Professor für Philosophie Wilhelm Weischedel (1905 - 1975), der an der Universität Tübingen und später an der FU in Berlin unterrichtete, bietet mit seiner "Philosophischen Hintertreppe" einen ungewöhnlichen Zugang zu den Werken der bekanntesten Philosophen des Abendlandes.

Statt staubtrockene Einführungen, plagiatorische Zusammenfassungen oder anbiederisch kommentierende Interpretatiönchen zu den Schriften der großen Denker zu verfassen, erstellte er lieber eine leserfreundliche Sammelung anekdotischer Daten oder witziger Merkwürdigkeiten des Privatlebens neben den monumentalen Thesen der Seinsdeutung der Herren Kant und Co. zusammen. Das Ergebnis ist ein unterhaltsames, mitunter sogar launiges Buch, das zugleich als leichte und dennoch gute Einführung in das Werk jener systematisch das vernommene Sein Deutenden dienen kann.

Religionen sind menschengemachte Fallen. Ein wahrer, wacher Philosoph darf da nicht hineintappen aus einer zwar menschlich verständlichen, aber einem freien Geist nicht zuträglichen Bedürftigkeit nach fragwürdigem Halt. Wilhelm Weischedel ergänzt das noch:"Aufgabe der Philosophie ist es, dafür zu sorgen, daß das Denken der Falle entgeht, die ihm die Sprache stellt".


Literatur:

Die philosophische Hintertreppe: 34 großen Philosophen in Alltag und Denken
Die philosophische Hintertreppe: 34 großen Philosophen in Alltag und Denken
von Wilhelm Weischedel

Samstag, 6. August 2022

Die grosse Sehnsucht nach dem Süden

Cinque Terre


Im Sommer gibt es eine unzähmbare Sehnsucht nach dem Süden. Sehnsuchtsort ist das Mittelmeer. Der Süden ist mehr als nur ein Reiseziel - er ist eine große Versprechung, denn er lockt mit Sonne, Strand und Dolce Vita: der Süden lässt den Besucher auf den Geschmack und in vielerlei Genüsse kommen, welche alle Sinne ansprechen und betören. Kein Wunder also, daß die Urlauber - von der Sehnsucht getrieben - sich im Sommer aufmachen und nach Süden in ihre Sehnsuchtsorte reisen. Schon Goethe fuhr los, um das Land der blühenden Zitronen zu genießen.

Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang Goethe reiste noch nach alter Sitte mit der Postkutsche an, um blühende Zitronen zu suchen, Heinrich Heine ließ als Reisezweck Vergnügen in seinen Pass eintragen, als er 1828 nach Italien fuhr. Jedes Jahr aufs Neue überkommt die Deutschen der Drang nach dem Mittelmeer vor allem dann, wenn der Sommer zu Hause auf sich warten lässt.

Wen die Sehnsucht nach dem Paradies packt und wer von ihr getrieben ist, für den ist die Zeit des Aufbruchs gekommen. Der Süden ist eine Gegend, die alle Sinne anspricht, daher das viele Reisen in diese Richtung. Das milde Licht, die wilden Strände, die üppige Natur und die duftenden Köstlichkeiten der mediterranen Küche entwickeln einen Sog, dem sich kaum jemand entziehen kann.

Philosophen und Wissenschaftler haben dieses Phänomen untersucht und sind sich einig: Das Paradies liegt im Süden. Jeder mag dort sein eigenes Paradies in seiner Vorstellung finden: Die einen glauben an die Kraft der Sonne, die einen besser macht, die anderen an die andere Lebensart - das ansteckende Laissez faire - der Südländer und ihre Gastfreundschaft. Einge finden dort tatsächlich ihre Paradies, die anderen einfach einen Ort zum Entspannen und Urlaub machen. Wer die Seele baumeln lassen möchte, ist im Süden genau richtig.

Über den Zusammenhang von Temperatur und Temperament, zwischen Kultur und Klima haben die Philosophen schon seit Jahrhunderten nachgedacht. Sie kamen dabei immer zu dem gleichen Ergebnis: Im Süden ist es schöner. Und weil es im Süden schöner ist, reisen Urlauber nur zu gerne hin.

Schon Friedrich Nietzsche fand heraus: "Das deutsche Klima allein ist ausreichend, um starke und selbst heroiich angelegte Eingeweide zu entmutigen." Denn das Tempo des Stoffwechsels stünde, so meinte er, "in einem genauen Verhältnis zur Beweglichkeit oder Lahmheit des Geistes." - Auch Montesquieu, der französische Staatstheoretiker, lag ganz auf Nietzsches Linie. Der Genießer ging davon aus, dass ein Wandel des Wetters verwandelte Menschen schafft: "In den heißen Ländern ist Hautgewebe lockerer, Nervenenden sind nach außen gewandt und der leisteste Regung winzigster Objekte ausgesetzt."

Deshalb herrscht dort die wahre Sinnlichkeit: "In den kalten Ländern wird die Genussfähigkeit für Vergnügungen gering sein. In den heißen Ländern wird sie äußerst groß sein. Man könnte das Klima, ebenso wie man es nach Breitengraden misst, gewissermaßen nach Graden der Genussfähigkeit messen." Montesquieu beschrieb also den besonderen Reiz der Sinnlichkeit im Süden. Wer will bei dieser Aussicht schon im Norden bleiben?

"Im Regen", schrieb der Nobelpreisträger Elias Canetti, "sehen die Menschen aus, als hätten sie viel vor. In der Sonne sehen die Menschen aus, als verdienten sie es zu leben."

Weblinks:

Sehnsucht nach dem Süden - www.focus.de

Literatur:

Der Süden - Geschichte einer Himmelsrichtung
Der Süden - Geschichte einer Himmelsrichtung
von Dieter Richter

Die grosse Sehnsucht nach dem Süden
Die grosse Sehnsucht nach dem Süden
von Joachim Weiser

Samstag, 26. Februar 2022

Der Zynismus sieht die Welt so, wie sie ist.

Kritik der zynischen Vernunft

Der Zynismus sieht die Welt so, wie sie ist.

»Zynismus ist der geglückte Versuch,
die Welt so zu sehen, wie sie ist.«

Jean Genet

Der Zynismus ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Krankt die Gesellschaft, wo wird sie zynisch.

»Intelligent sein und dennoch seine Arbeit verrichten – das ist unglückliches Bewusstsein in der modernen, aufklärungskranken Form.«


Gottfried Benn

Eine Gesellschaft erkrankt, wenn dem um sich greifenden Zynismus kein Einhalt geboten wird. Zynische Denkhaltung ist eine in Politik und Wirtschaft weit verbreitete Einstellung, die auf Gehorsam und Loyalität gründet. Zynische Denkstrukturen bestimmen die Gesellschaft. Und der wirklich versierte Zyniker trägt bei seinem - im praktischen Handeln angelegten - gepflegten Zynismus natürlich ein Siegerlächeln im Gesicht. Der neue Zyniker ist nach Peter Sloterdijk derjenige, der eine Machtposition innehat: »Dem diffusen Zynismus gehören längst die Schlüsselstellungen der Gesellschaft in Vorständen, Parlamenten, Aufsichtsräten, Betriebsführungen, Lektoraten, Praxen, Fakultäten, Kanzleien und Redaktionen.“ (S. 37). Er erinnert daran, wie Gottfried Benn, „selber einer der profilierten Sprecher der modernen zynischen Struktur“ in dieser formuliert hat: »Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.«

Natürlich gibt es auch eine Umkehrung diseer Medaille - soz. als genauer analoger Spiegeleffekt! Was in der Umkehrung eben heißt: »Intelligent sein und dennoch seine Arbeit verrichten – das ist unglückliches Bewusstsein in der modernen, aufklärungskranken Form« (S. 40). Dabei steht einem Zynismus der Mittel ein Moralismus der Zwecke gegenüber: Um moralisch hohe Ziele zu erreichen, kann man jedes, auch das tückischste Mittel einsetzen. Und genau so hat ja seit jeher die Macht, um ihre moralisch und demokratisch maskierten Zwecke zu erreichen, auch nie gezögert, unschuldige Opfer niederzumachen.

Samstag, 12. Februar 2022

Olympische Spiele stecken in einer Krise

Olympische Spiele stecken in einer Krise


Bei den Olympischen Spielen wird der olympische Geist beschworen, doch den Olympischen Spielen mangelt es an Ethos: Korruption, Dopingskandale, Kommerzialisierung, politische Einflussnahme: Die Olympische Bewegung steckt in einer fundamentalen Krise. Sie ist in großen Teilen selbst verschuldet. Die Olympischen Spiele sind zu einer Kommerzveranstaltung verkommen. Der Einfluß des Geldes wird besonders bei der herrschenden Korruption sichtbar.

Der Weltgeist zeigt sich mal wieder von seiner ironischen Seite: Ausgerechnet „Friede und Gedeihen“ heißt der Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2018, Pyeongchang, wörtlich übersetzt. Nichts liegt näher an den Idealen der olympischen Bewegung als Friede und Gedeihen. Nichts liegt in der olympischen Wirklichkeit aber ferner als dieses Begriffspaar. Friede ist weder innerhalb noch außerhalb der olympischen Gemeinde in Sicht. Gedeihen trifft es allenfalls dann, wenn man die überbordende Kommerzialisierung positiv sieht.

Die Olympische Idee hat durch fortlaufende Korruption, Dopingskandale, Kommerzialisierung, politische Einflussnahme Schaden genommen und enorm gelitten. Die Diskrepanz zwischen Idee und Realität lässt sich beliebig fortführen. Etwa mit dem scheinheiligen Kampf des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gegen Doping, wie der Umgang mit dem russischen Betrug bei den Winterspielen in Sotschi 2014 deutlich gezeigt hat.

Hinzu kommt noch eine weitere negative Begleiterscheinung: Viele Wintersport-Traditionsorte wie Oslo und München können keine Winterspiele mehr ausrichten, weil massive Bürgerproteste aus Angst vor negativen ökologischen Folgen die Ausrichtung der Spiele verhindert haben.


Weblinks:

Olympische Krise: Missbrauchte Spiele - www.stuttgarter-zeitung.de

Olympische Spiele stecken in einer Krise - www.rp-online.de

Samstag, 31. Juli 2021

Jean-Jacques Rousseau und die Freiheit in der Krise



In Corona-Zeiten wird die Freiheit im Hinblick auf die Gewährung von Rechten neu verhandelt. In der Krise sind ganz neuze Formen der Freiheit entstanden. Die Freiheit der bereits Geimpften, die Freiheit der Nichtgeimpften und der Impfunwilligen, sich nicht Impfen zu lassen.

In Debatten über das Corona-Virus werden der Erhalt der Gesundheit von möglichst vielen Menschen und die Freiheit des Einzelnen häufig als diametrale Gegensätze dargestellt. Nur Einschränkungen und Verbote könnten die Verbreitung der Krankheit aufhalten. Vor diesem Hintergrund wird nun selbst die Pflicht zum Tragen eines Mundschutzes im öffentlichen Raum, die in Deutschland ab diesem Montag gilt, von vielen als weiterer Eingriff in ihre Rechte verstanden - die nächste Stufe der staatlich verordneten Restriktionen.

Wie kann ich diese am besten schützen? Da die Pandemie noch lange nicht vorbei ist, muss der Schutz der Mitmenschen auf absehbare Zeit all unser Handeln prägen, wenn wir wieder miteinander in Kontakt treten.

Das eine ist der zwingende Abstand von zwei Metern zu allen anderen. Das andere ist das unbedingte Tragen einer Maske. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine einfache Maske nicht viel dazu beiträgt, eine Person vor einer Ansteckung zu schützen, aber sie kann wirksam verhindern, dass jemand andere ansteckt. Effektiver Schtuz funktioniert nur wechselseitig: Eine Person schützt andere im täglichen Leben und andere wiederum schützen diese vor ihnen.

Damit der Herden-Schutz jedoch funktioniert, müssen alle mitmachen und genau hier kommt Rousseau ins Spiel. Im »Gesellschaftsvertrag«, dem »Contrat social«, seiner monumentalen Abhandlung aus dem Jahr 1762, legte der Philosoph dar, wie der einzelne einen "Souverän" legitimiert, der dann den allgemeinen Willen als Gemeinwohl durchsetzt. Aber, wie Rousseau einräumt, kann das individuelle Eigeninteresse ein ganz anders sein, als das Interesse der Gemeinschaft.

Diese individuellen Eigeninteressen sind wohl besonders hoch in Deutschland, das bisher von den hohen Opferzahlen anderer Nationen verschont geblieben ist. Viele glauben daher, das Schlimmste sei vorbei, und wollen wieder ihr altes Leben zurück. Oder sie glauben, alles sei unter Kontrolle und lassen deshalb alle Vorsicht fahren. Dort, wo ich lebe, legen die Massen von Menschen unterwegs mit unbedeckten Gesichtern, diesen Schluss jedenfalls nahe.

Regeln müssen durchgesetzt werden. Oder, um es mit Rousseaus Worten zu sagen: Wir müssen zum Gehorsam gezwungen werden, denn dies "bedeutet nichts weniger, als dass jeder Einzelne gezwungen wird, frei zu sein". Seiner Meinung nach erhöhen die von allen eingehaltenen Regeln unsere Freiheit, da sie uns vor "persönlicher Abhängigkeit" schützen. Ob nun mit mündlichen Ermahnungen, Platzverweisen oder sogar Geldstrafen - die Einschränkungen dieser nächsten Phase im Kampf gegen das Coronavirus müssen von allen eingehalten werden. Nur dann können sie jeden Menschen davor schützen, dass sein individuelles Recht - einschließlich des Rechts, von einem anderen nicht verletzt zu werden - durch die Launen eines anderen verletzt wird. Die erzwungenen Einschränkungen für alle maximieren die Rechte jedes Einzelnen in der Gesellschaft.

Samstag, 12. Juni 2021

»Theorie des kommunikativen Handelns« von Jürgen Habermas

Theorie des kommunikativen Handelns
Theorie des kommunikativen Handelns

Die Theorie des kommunikativen Handelns, das Hauptwerk von Jürgen Habermas, thematisiert die praktische und theoriekritische Bedeutung des kommunikativen Handelns für das soziale Leben der (post-)modernen Gesellschaft. Das 1981 erstmals veröffentlichte Werk setzt zunächst bei mythischen Weltbildern an, problematisiert das Sinnverstehen und untersucht Formen der Rationalisierung.

Das umfangreiche Werk enthält mit starken Bezügen auf Talcott Parsons, Thomas A. McCarthy und Niklas Luhmann eine geltungskritische Interpretation moderner Kommunikationstheorie, legt mit mehrfachen Bezügen auf Immanuel Kant, Georg W. F. Hegel und Ludwig Wittgenstein die begründende Funktion der kommunikativen Vernunft dar.


"Zwischen Kapitalismus und Demokratie besteht 
ein unauflösliches Spannungsverhältnis; 
mit beiden konkurrieren nämlich zwei entgegengesetzte 
Prinzipien der gesellschaftlichen Integration um den Vorrang."

Theorie des kommunikativen Handelns


Mit der Theorie des kommunikativen Handelns hat Jürgen Habermas den imposanten Versuch unternommen, die kritische Gesellschaftstheorie neu zu begründen. Vom Ziel der Emanzipation geleitet, will Habermas ihre normativen Grundlagen deutlicher herausarbeiten, als es die frühen Vertreter der Kritischen Theorie (v.a. Theodor W. R Adorno und Max R Horkheimer) vermochten bzw. als sie es sich wegen ihres tiefen Pessimismus noch zutrauen wollten. Diese normativen Grundlagen eines »nachmetaphysischen Zeitalters« findet Habermas in der Sprache, in den Grundvoraussetzungen und Implikationen kommunikativen Handelns.

Zwei Bände beinhalten auf weit über 1.000 Seiten kritische Auseinandersetzungen mit den Problemen u. a. der Rationalität, der Modernisierung sowie der Handlungs- und Systemtheorie. Habermas entwickelt seine eigene Theorie in kritischer Auseinandersetzung mit einigen Klassikern der Soziologie, u. a. Max Weber, George Herbert Mead (1863–1931) und Talcott Parsons (1902–79). Auf diesem Weg systematisiert er das kommunikative Handeln durch eine Universalpragmatik, die über jene Regeln und Voraussetzungen belehrt, die wir beim Sprechen automatisch und immer befolgen.

Wenn wir uns mit anderen verständigen wollen, so greifen wir auf einen vertrauten Hintergrund und Erfahrungsschatz zurück, den wir in der sog. Lebenswelt erlernt und eingeübt haben. Als wichtige Unterscheidung bestimmt Habermas die zwischen strategischem und echtem kommunikativen Handeln: das erste dient der Durchsetzung egoistischer Interessen und der Beeinflussung anderer und ist erfolgsorientiert; das zweite ist verständigungsorientiert und weiß sich den Ansprüchen auf Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet.

Habermas bringt diese Sprechakttheorie mit einer Theorie moderner Gesellschaften zusammen. Die moderne Gesellschaft ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihr Systeme ausdifferenzieren, die durch entsprachlichte Medien wie Geld und Macht gesteuert werden, was ihre Effizienz enorm erhöht. Die Gesellschaft bleibt gleichwohl auf die Reproduktionsprozesse der Lebenswelt angewiesen.

Wird die Lebenswelt durch die systemischen Medien zu stark beeinflusst (»kolonialisiert«), z. B in Gestalt von Verrechtlichungstendenzen, dann droht die kommunikativ strukturierte Lebenswelt samt ihres aufklärerischen, demokratischen und menschlichen Potenzials gleichsam zu verdorren. Aufgabe kritischer Gesellschaftstheorie muss es sein, solche Prozesse kenntlich zu machen und zu kritisieren.

Weblink:

Theorie des kommunikativen Handelns
Theorie des kommunikativen Handelns
von Jürgen Habermas

Samstag, 15. Mai 2021

Wird die freiheitliche westliche Gesellschaft überleben?

Das Glücksversprechen des Westens ist das Geschenk der Freiheit. Die größte Leistung der freien Gesellschaften des Westens und der westlichen Moderne besteht darin, dass Menschen ihr Leben frei nach bestem Wissen und Gewissen gestalten können und ihnen ein breites Spektrum von Lebensformen zur Verfügung steht.

Dies bedeutet aber auch, die Menschen existentielle Fragen selbst beantworten, ihrem Leben selbst einen Sinn geben und ihre Identität selbst finden müssen. Dies setzt Ausdauer, Mut und Anstrengungen voraus – und selbst dann ist der Erfolg nicht garantiert. Das wird von Vielen als bedrohlich empfunden; sie flüchten sich in kollektive Identitäten wie dem fundamentalistischen Islam oder sie verlieren sich in sinnlosem Konsum.

Zur Einlösung des Glücksversprechens gehört, daß der Einzelne diese Freiheit auch wertschätzt. Wo diese Wertschätzung nicht stattfindet, führt diese häufig zur Ablehnung der Gesellschaft. Dies führt zu der Frage, ob angesichts der Radikalisierung vieler Muslime und des Aufstiegs der radikalen Rechten die Bürger der westlichen Welt realisieren, dass sie in einem politischen und gesellschaftlichen System leben, für dessen Erhalt sie kämpfen müssten.

Die westliche Gesellschaft wird allerdings kaum überleben, wenn die Bevölkerung des Westens die persönliche Freiheit nicht wertschätzt und sie verteidigt. Diese Wertschätzung wird jedoch durch die nicht einlösbaren Glücksversprechen der Wohlstandsgesellschaft unterminiert und durch fundamentalistische Bewegungen aller Art bedroht wird. Stengers Narrativ läßt wenig Raum für eine optimistische Prognose über die Zukunft des Westens.

Samstag, 27. Februar 2021

»Eine Theorie der Gerechtigkeit« von John Rawls

Eine Theorie der Gerechtigkeit


Eine Theorie der Gerechtigkeit


John Rawls Hauptwerk "Eine Theorie der Gerechtigkeit" ist zweifellos ein Klassiker der praktischen Philosophie. Auf der Grundlage der klassischen Vertragstheorie - mit allerlei Rückgriffen auf Kant, Locke und Rousseau - entwickelt Rawls entlang der Grundgedanken der Entscheidungs- und Spieltheorie eine moderne Konzeption der Gerechtigkeit und damit der gesellschaftlichen Institutionen insgesamt. Das Werk gilt als das Standardwerk der Gerechtigkeitsforschung des 20. Jahrhunderts, auf das sich alle weiteren Entwicklungen zum Thema Gerechtigkeit im 20. Und 21. Jahrhundert beziehen.

Es gilt als Verdienst von John Rawls, dass er der klassischen politischen Theorie, in denen die Klassiker von Platon und Aristoteles nach wie vor eine dominante Rolle einnehmen, eine Wiederbelebung in der Moderne verpasst hat. Mit seiner Theorie der Gerechtigkeit gelang ihm eine Symbiose von liberalem und sozialem Denken – oder einfacher ausgedrückt von „linkem“ und „rechtem“ Gedankengut.

Denn seine Argumentation, die er in seinen bekannten zwei Gerechtigkeitsgrundsätzen zusammenfasst, zielt sowohl auf eine möglichst große Zahl von Grundrechten und trägt somit dem liberalen Denken Rechnung als auch auf die soziale Gerechtigkeit, insofern er soziale Ungleichheiten im Staat nur dann für gerechtfertigt hält, wenn sie den sozial Schwachen zugutekommen. Zur Begründung seiner Grundsätze benutzt er ein fiktives Szenario, das er Urzustand nennt. In diesem beraten Protagonisten über das Modell eines künftiges Staates, ohne ihre soziale Rolle und ihre Fähigkeiten in diesem zu kennen. Sie beraten unter dem sog. „Schleier des Nichtwissens“.

Seine politischen Vorstellungen kommen im Ganzen sehr idealistisch daher, denn es scheint klar zu sein, dass eine größtmögliche Anzahl von Freiheits- und Grundrechten leider nur dann möglich ist, wenn bestimmte andere Freiheiten eingeschränkt werden. Völlige Freiheit würde Anarchie bedeuten, das wäre dann aber überhaupt kein Staat mehr und wohl auch nicht mehr im Sinne von Rawls. Gerechtigkeit und liberales Denken stehen demnach in einem gewissen Spannungsverhältnis, da eine wirklich liberale Gesellschaft – gemäß ihrer Überzeugung – auch gewisse Abweichungen vom Recht bzw. der Gerechtigkeit in Kauf nehmen sollte.

Auch die Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit aus dem zweiten Grundsatz scheint insofern schwierig zu sein, da es schwer zu bemessen ist, wann soziale Ungleichheiten den sozial Schwachen auch nützen und ob eine derartige Regel überhaupt mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Kräften durchsetzbar wäre. Daneben schweift Rawls auch noch in den Bereich der Ethik ab. Der gute Mensch ist für ihn gemäß seiner politischen Philosophie der „gerechte“ Mensch, der sich um der Gerechtigkeit willen für die beiden Gerechtigkeitsgrundsätze von Rawls - hier betreibt Rawls Werbung in eigener Sache - entscheiden würde, um somit eine liberale und zugleich soziale Gesellschaft zu ermöglichen. Die Theorie der Gerechtigkeit ist ein eindrucksvolles Plädoyer für eine liberal-soziale Gesellschaft – obgleich von hohem Idealismus getragen.

Wer sich für die egalitäre Gesellschaftstheorie interessiert, kommt an diesem Werk nicht vorbei. Der detaillierte Aufbau seiner "Theorie der Gerechtigkeit" lässt Rawls zu Recht als einen hervoragenden Denker und Theoretiker verstehen. Die Kritik seitens der Libertärianer, insbesondere Nozicks mögen für Manchen von Relevanz sein, sprechen aber dieser Gesellschaftstheorie, im Sinne einer Vertragstheorie nicht die Bedeutung für eine gerechtere Gesellschaft ab.

Rawls "Theorie der Gerechtigkeit" besagt, daß in einem Urzustand der menschlichen Gesellschaft zwei Grundsätze aufgestellt würden: Die Gleichheit der Grundrechte und -pflichten und der Grundsatz, daß soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben. Bestehende Ungerechtigkeiten sind dann noch sinvoll, wenn die Verteilung immer noch besser ist, wenn auch noch der schwächste der Gesellschaft davon profitiert.

Arg verkürzt lässt sich dies auf die Formel herunterbrechen: "Eine Gesellschaft ist dann gerecht, wenn es dem am schlechtesten Gestellten am besten geht (im Vergleich zu allen anderen möglichen Welten)." Damit stellt sich Rawls der Auffassung des klassischen Utilitarismus entgegen, wonach der höchste Grad an Gerechtigkeit erreicht wäre, wenn die größte Anzahl von Individuen das größtmögliche Maß an Glück erzielte.

"Die Grundlagen der Gerechtigkeit werden hinter dem Schleier des Nichtwissens gewählt."



Literatur:

Eine Theorie der Gerechtigkeit
Eine Theorie der Gerechtigkeit
von John Rawls


Video:

John Rawls' geniale Theorie der Gerechtigkeit einfach erklärt - Youtube

Samstag, 2. Januar 2021

Die gesellschaftliche Bedeutung der Philosophie (E)


Die Philosophie sieht sich in Zeiten einer sich rasant verändernden Welt in der Verantworung, Beiträge für die notwendige Gestaltung der Gesellschaft zu liefern. Es gibt eine Einsicht: Nur ein verantwortungsvoller Umgang mit der Welt kann die Welt noch retten.

Es ist die Aufgabe der Philosophie, durch gedanklich Auseindersetzung mit den relevanten Themen der Zeit Diskurse anzustoßen und gesellschaftliche Debatten zu entfachen

Demokratie braucht die Möglichkeit zur Diskussion, denn dort wo diskutiert wird, können im Wettstreit der Ideen bessere Lösungen gefunden werden. Die Debatte ist die Grundlage für eine Diskussion über relevante Themen. Dort, wo keine Debatte geführt wird, gibt es keine Diskussion über notwendige Veränderungen

Die Philosophie sieht sich nicht in der Verantwortung, notwendige Debatten zur aktuellen Themen wie Klimaschutz, Energiewende, etc. anzustoßen, um einen Konsons für die notwendige Umgestaltung zu finden.

Für eine Debatte ist eine kritische Reflektion der Gesellschaft nötig.

Samstag, 28. November 2020

Friedrich Engels 200. Geburtstag

Friedrich Engels

Friedrich Engels wurde vor 200 Jahren am 28. November 1820 in Barmen in der preußischen Provinz Jülich-Kleve-Berg als Sohn eines erfolgreichen Baumwollfabrikanten geboren. Friedrich Engels war ein deutscher Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Historiker, Journalist und kommunistischer Revolutionär. Darüber hinaus war er ein erfolgreicher Unternehmer in der Textilindustrie. Er entwickelte gemeinsam mit Karl Marx die heute als Marxismus bezeichnete Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie.

Trotz seiner Herkunft aus einer Unternehmerfamilie, entschied er sich, für eine andere Gesellschaft zu kämpfen, in welcher der Mensch von der Ausbeutung befreit ist. Gemeinsam mit seinem jahrelangen Freund und Genossen Karl Marx entwickelte er die marxistische Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie. Als Mitverfasser vom »Kommunistischen Manifest« und Autor zahlreicher revolutionärer Schriften leistete er eine enorme Arbeit für den Sozialismus und verurteilte bis zu seinem Lebensende die kapitalistische Gesellschaft.

Engels beschäftigte sich schon vor Marx mit der Kritik der politischen Ökonomie. Die 1844 erschienenen Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie wurden für Marx zum Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeiten. Bereits 1845 erschien die gemeinsame Schrift Die heilige Familie, mit der Engels und Marx begannen, ihr Theorieverständnis zu formulieren. Im Jahr 1848 verfassten sie im Auftrag des Bundes der Kommunisten das »Kommunistische Manifest«.


Mit seiner einflussreichen Untersuchung »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (1845) gehörte Engels zu den Pionieren der empirischen Soziologie. Seine publizistische Tätigkeit trug wesentlich zur Verbreitung des Marxismus bei. Neben dem »Anti-Dühring« (1877) erfuhr vor allem die Kurzfassung »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« (1880) starke Resonanz.

Karl Marx

Nach dem Tod von Marx übernahm Engels die führende Rolle in der internationalen Arbeiterbewegung. Nach Marx’ Tod 1883 gab Engels den zweiten und den dritten Band von dessen Hauptwerk, »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, heraus. Darüber hinaus setzte er die Arbeit an der theoretischen Ausformung ihrer gemeinsamen Weltanschauung fort, unter anderem in »Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats« (1884) und »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« (1888).

Neben seinen ökonomischen und philosophischen Studien befasste sich Engels auch intensiv mit der Entwicklung der Naturwissenschaften und der Mathematik und schuf damit den Grundstein für den späteren dialektischen Materialismus. Engels leistete eine enorme Arbeit für den Sozialismus und verurteilte bis zu seinem Lebensende die kapitalistische Gesellschaft.

Die Gefahr eines Weltkriegs in Europa sah er deutlich voraus und versuchte noch 1893 mit einer Artikelserie im Vorwärts einen Anstoß zur Reduzierung der stehenden Heere zu geben. Friedrich Engels starb am 5. August 1895 in London.

Videos:

Friedrich Engels - Der vergessene Wuppertaler - YouTube

Friedrich Engels. Grundsätze des Kommunismus. 1847 - Youtube


Samstag, 21. November 2020

Der alte dogmatische Glaube ist tot


Der alte bekannte überlieferte und eingeprägte Gott der Christen, etwa die Trinität, Jesus als Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinweg nimmt, nicht mehr lebendig ist und nicht mehr innerlich verehrt und akzeptiert wird. Darüber gibt es eigentlich keine Diskussion, das ist auch empirisch erwiesen: Der alte dogmatische Glaube, der zum Dogma erstarrte Glaube, ist tot. Dogmen sind bei den Menschen nicht mehr gefragt. Jeder macht sich seine persönliche „Glaubensmelange“.

Man werfe heute nur ein Blick in die Kirchen am Sonntag: der Gottesdienst-Besuch lässt in ganz Europa ständig nach. In manchen Ländern geht er gegen Null. Die dort verbreiteten Gotteslehren und oft auch in eins mit Morallehren sind nicht mehr nachvollziehbar. Das Mönchleben und die Orden sterben aus. Große Begeisterung, Pfarrer zu werden, ist kaum zu spüren, viele theologische Fakultäten stehen etwa in Deutschland vor der Schließung.

In früheren christlichen Zeiten galt ein ohne Glaube geführtes Leben als sinnlos und ohne Gott als Sünde. Heute ist Gott in den Herzen der Menschen nicht mehr lebendig.

Alle Religionen, die es nicht mehr gibt, wurden von den guten Religionen , entweder missioniert oder massakriert. z.B. im Fall von den Maya wurden sie von den Christen massakriert oder missioniert , weil der christliche Gott natürlich besser ist. Das ist das Grundmerkmal einer guten Religion, daß der liebe Gott nicht nur barmherzig , sondern auch besser bewaffnet ist.

Woran kann man überhaupt noch glauben? Wir brauchen den Glauben weil er uns tröstet, im Angesicht unserer Sterblichkeit und weil die Welt schlecht ist. Das ist ja für viele die höchste göttlich Wahrheit. Das stimmt nicht. Das ist ein Irrglaube. Dieser Irrglaube hat die größte Glaubensgemeinschaft in Deutschland. Der Orden der Jammerlappen.

Die Welt ist besser als wir glauben, aber wir kriegen das nicht mit, weil sich unser Glauben nicht an Fakten orientiert sondern an dem was man so erzählt. Deshalb sind wir so empfindlich wenn jemand an unserem Glauben zweifelt, weil damit unser Weltbild zerstört wird. Was Nietzsche empört hatte war, dass alle so weiter machen und weiter leben wie bisher, als sei dieser Gott gerade nicht tot. Sie flüchten in den Schein und den Selbstbetrug.

Aber dieser verstorbene Gott war früher sozusagen der oberste Garant einer Werte – Ordnung: „Für Gott und Vaterland“, man erinnert sich an den Spruch; Gott ist die oberste Wahrheit; alles Erkennen geschieht in göttlichem Licht; Gott ist der Schöpfer der Welt usw.

Wenn dieser Gott der obersten Werte und vertrauten Weltbilder tot ist, dann bricht eine Welt zusammen. Dann wird den Menschen der Boden entzogen. Der antike Philosoph Plotin lehrte, daß die Welt nicht verachtet werden darf, weil Gott in ihr wohnt.

Weblink:

Nietzsche - gefährlich anregend. Ein Vortrag im religionsphilosophischen Salon - Religionsphilosophischen Salon

Samstag, 10. Oktober 2020

»Manifest der Kommunistischen Partei« von Karl Marx und Friedrich Engels

1848 erschien das »Kommunistische Manifest« von Karl Marx. Auf das Versprechen der Französischen Revolution waren die Eroberungskriege Napoleons gefolgt und darauf die politische Restauration in
Europa. Eine neue politische Bewegung protestierte dagegen. Sie verstand sich als Avantgarde des kommenden Zeitgeistes, der die Hoffnungen der Französischen Revolution in der Zukunft einlösen sollte. In Marx‘ berühmter Einleitung verbreitet der neue Geist Angst und Schrecken unter sei
nen Feinden. Er klingt, als würde er mit den Ketten der Proletarier rasseln, die diese bald abwerfen wollten:

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten. Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.“

Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus.
Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.

Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte?

Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor.
>Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt.

Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke,
ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.

Zu diesem Zweck haben sich Kommunisten der verschiedensten Nationalität in London versammelt und das folgende Manifest entworfen, das in englischer, französischer, deutscher, italienischer, flämischer und dänischer Sprache veröffentlicht wird.

Bourgeois und Proletarier

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.
Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und
Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf,
der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.

In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen besondere Abstufungen.
Die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben.
Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.

Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus,
daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.

Aus den Leibeigenen des Mittelalters gingen die Pfahlbürger der ersten Städte hervor; aus dieser Pfahlbürgerschaft entwickelten sich die ersten Elemente der Bourgeoisie.
Die Entdeckung Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionären Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung.
Die bisherige feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den mit neuen Märkten anwachsenden Bedarf. Die Manufaktur trat an ihre Stelle. Die Zunftmeister wurden verdrängt durch den industriellen Mittelstand; die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Korporationen verschwand vor der Teilung der Arbeit in der einzelnen Werkstatt selbst.
Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf.
Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion.
An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen,
die modernen Bourgeois.

Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete. Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schiffahrt, den Landkommunikationen eine unermeßliche Entwicklung gegeben.
Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, worin Industrie, Handel, Schiffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien, drängte sie alle vom Mittelalter her überlieferten Klassen in den Hintergrund.

Wir sehen also, wie die moderne Bourgeoisie selbst das Produkt eines langen Entwicklungsganges, einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise ist.
Jede dieser Entwicklungsstufen der Bourgeoisie war begleitet von einem entsprechenden politischen Fortschritt. Unterdrückter Stand unter der Herrschaft der Feudalherren, bewaffnete und sich selbst verwaltende Assoziation in der Kommune, hier unabhängige städtische Republik, dort dritter steuerpflichtiger Stand der Monarchie, dann zur Zeit der Manufaktur Gegengewicht gegen den Adel in der ständischen oder in der absoluten Monarchie, Hauptgrundlage der großen Monarchien überhaupt, erkämpfte sie sich endlich seit der Herstellung der großen Industrie und des Weltmarktes im modernen Repräsentativstaat die ausschließliche politische Herrschaft.
Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.
                                                                                                                        

Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt.

Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört.
Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose "bare Zahlung".
Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung,
der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt.
Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.

Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet.
Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten,
den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.

Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.
Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.
                                                                                                                    

Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen.
Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus.
Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können.
Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.
Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.

Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen.
Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.

An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.
Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.
Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.
Die Bourgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert.
Die notwendige Folge hiervon war die politische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie.

Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen
- welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten.

Wir haben also gesehen: Die Produktions- und Verkehrsmittel, auf deren Grundlage sich die Bourgeoisie heranbildete, wurden in der feudalen Gesellschaft erzeugt.
Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel entsprachen die Verhältnisse, worin die feudale Gesellschaft produzierte und austauschte,
die feudale Organisation der Agrikultur und Manufaktur, mit einem Wort die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr.
Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern.
Sie verwandelten sich in ebensoviele Fesseln. Sie mußten gesprengt werden, die wurden gesprengt. An ihre Stelle trat die freie Konkurrenz mit der ihr angemessenen gesellschaftlichen und politischen Konstitution, mit der ökonomischen und politischen Herrschaft der Bourgeoisklasse.

Unter unsern Augen geht eine ähnliche Bewegung vor.
Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.
Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind.

Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen.
In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte,
sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet.
In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die Epidemie der Überproduktion.
Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum?
Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt.
Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse.;
im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums.
Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.

Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen?
Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften;
anderseits durch die Eroberung neuer Märkte
und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte.
Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.

Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat,
richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst.

Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet,
die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter, die Proletarier.

In demselben Maße, worin sich die Bourgeoisie, d.h. das Kapital, entwickelt,
in demselben Maße entwickelt sich das Proletariat, die Klasse der modernen Arbeiter,
die nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt.
Diese Arbeiter, die sich stückweis verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.

Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit allen selbständigen Charakter und damit allen Reiz für die Arbeiter verloren.
Er wird ein bloßes Zubehör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste,
am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird.
Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich daher fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf.
Der Preis einer Ware, also auch der Arbeit, ist aber gleich ihren Produktionskosten.
In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab. Noch mehr, in demselben Maße, wie Maschinerie und Teilung der Arbeit zunehmen, indemselben Maße nimmt auch die Masse der Arbeit zu, sei es durch Vermehrung der Arbeitsstunden, sei es durch Vermehrung der in einer gegebenen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschinen usw.

Die moderne Industrie hat die kleine Werkstube des patriarchalischen Meisters in die große Fabrik des industriellen Kapitalisten verwandelt. Arbeitermassen, in der Fabrik zusammengedrängt, werden soldatisch organisiert.
Sie werden als gemeine Industriesoldaten unter die Aufsicht einer vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren gestellt. Sie sind nicht nur Knechte der Bourgeoisie,
des Bourgeoisstaates, sie sind täglich und stündlich geknechtet von der Maschine, von dem Aufseher und vor allem von den einzelnen fabrizierenden Bourgeois selbst.
Diese Despotie ist um so kleinlicher, gehässiger, erbitterter, je offener sie den Erwerb als ihren Zweck proklamiert.

Je weniger die Handarbeit Geschicklichkeit und Kraftäußerung erheischt, d.h. je mehr die moderne Industrie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber verdrängt. Geschlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse. Es gibt nur noch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Geschlecht verschiedene Kosten machen.
Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt,
daß er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.

Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers,
die Handwerker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat hinab, teils dadurch, daß ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht ausreicht und der Konkurrenz mit den größeren Kapitalisten erliegt, teils dadurch, daß ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsweisen entwertet wird. So rekrutiert sich das Proletariat aus allen Klassen der Bevölkerung.

Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.
Im Anfang kämpfen die einzelnen Arbeiter, dann die Arbeiter einer Fabrik,
dann die Arbeiter eines Arbeitszweiges an einem Ort gegen den einzelnen Bourgeois,
der sie direkt ausbeutet.
Sie richten ihre Angriffe nicht nur gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse,
sie richten sie gegen die Produktionsinstrumente selbst;
sie vernichten die fremden konkurrierenden Waren, sie zerschlagen die Maschinen,
sie stecken die Fabriken in Brand, die suchen die untergegangene Stellung des mittelalterlichen Arbeiters wiederzuerringen.

Auf dieser Stufe bilden die Arbeiter eine über das Land zerstreute und durch die Konkurrenz zersplitterte Masse. Massenhaftes Zusammenhalten der Arbeiter ist noch nicht die Folge ihrer eigenen Vereinigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie,
die zur Erreichung ihrer eigenen politischen Zwecke das ganze Proletariat in Bewegung setzen muß und es einstweilen noch kann.

Auf dieser Stufe bekämpfen die Proletarier also noch nicht ihre Feinde,
sondern die Feinde ihrer Feinde, die Reste der absoluten Monarchie, die Grundeigentümer, die nichtindustriellen Bourgeois, die Kleinbürger.
Die ganze geschichtliche Bewegung ist so in den Händen der Bourgeoisie konzentriert;
jeder Sieg, der so errungen wird, ist ein Sieg der Bourgeoisie.

Aber mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat;
es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie immer mehr.
Die Interessen, die Lebenslagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall auf ein gleich niedriges Niveau herabdrückt.
Die wachsende Konkurrenz der Bourgeois unter sich und die daraus hervorgehenden Handelskrisen machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender;
die immer rascher sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre ganze Lebensstellung immer unsicherer; immer mehr nehmen die Kollisionen zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzelnen Bourgeois den Charakter von Kollisionen zweier Klassen an.
Die Arbeiter beginnen damit, Koalitionen gegen die Bourgeois zu bilden;
sie treten zusammen zur Behauptung ihres Arbeitslohns. Sie stiften selbst dauernde Assoziationen, um sich für die gelegentlichen Empörungen zu verproviantieren. Stellenweis bricht der Kampf in Emeuten aus.

Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend.
Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg,
sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter.
Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen.
Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren.
Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf.
Und die Vereinigung, zu der die Bürger des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte bedurften, bringen die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande.

Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst.
Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger.
Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interesse der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt. So die Zehnstundenbill in England.

Die Kollisionen der alten Gesellschaft überhaupt fördern mannigfach den Entwicklungsgang des Proletariats.
Die Bourgeoisie befindet sich in fortwährendem Kampfe: anfangs gegen die Aristokratie; später gegen die Teile der Bourgeoisie selbst, deren Interessen mit dem Fortschritt der Industrie in Widerspruch geraten; stets gegen die Bourgeoisie aller auswärtigen Länder.
In allen diesen Kämpfen sieht sie sich genötigt, an das Proletariat zu appellieren, seine Hülfe in Anspruch zu nehmen und es so in die politische Bewegung hineinzureißen.
Sie selbst führt also dem Proletariat ihre eigenen Bildungselemente, d.h. Waffen gegen sich selbst, zu.

Es werden ferner, wie wir sahen, durch den Fortschritt der Industrie ganze Bestandteile der herrschenden Klasse ins Proletariat hinabgeworfen oder wenigstens in ihren Lebensbedingungen bedroht. Auch sie führen dem Proletariat eine Masse Bildungselemente zu.
In Zeiten endlich, wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert, nimmt der Auflösungsprozeß innerhalb der herrschenden Klasse, innerhalb der ganzen alten Gesellschaft, einen so heftigen, so grellen Charakter an,
daß ein kleiner Teil der herrschenden Klasse sich von ihr lossagt und sich der revolutionären Klasse anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen trägt.
Wie daher früher ein Teil des Adels zur Bourgeoisie überging, so geht jetzt ein Teil der Bourgeoisie zum Proletariat über, und namentlich ein Teil dieser Bourgeoisideologen,
welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben.

Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse.
Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt.

Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ.
Noch mehr, sie sind reaktionär, sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen.
- Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.

Die Lebensbedingungen der alten Gesellschaft sind schon vernichtet in den Lebensbedingungen des Proletariats.
Der Proletarier ist eigentumslos; sein Verhältnis zu Weib und Kindern hat nichts mehr gemein mit dem bürgerlichen Familienverhältnis; die moderne industrielle Arbeit, die moderne Unterjochung unter das Kapital, dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutschland, hat ihm allen nationalen Charakter abgestreift.
Die Gesetze, die Moral, die Religion sind für ihn ebenso viele bürgerliche Vorurteile,
hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interessen verstecken.

Alle früheren Klassen, die sich die Herrschaft eroberten, suchten ihre schon erworbene Lebensstellung zu sichern, indem sie die ganze Gesellschaft den Bedingungen ihres Erwerbs unterwarfen.
Die Proletarier können sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte nur erobern, indem sie ihre eigene bisherige Aneignungsweise und damit die ganze bisherige Aneignungsweise abschaffen.
Die Proletarier haben nichts von dem Ihrigen zu sichern, sie haben alle bisherigen Privatsicherheiten und Privatversicherungen zu zerstören.

Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl.
Das Proletariat, die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft, kann sich nicht erheben,
nicht aufrichten, ohne daß der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird.

Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.
Indem wir die allgemeinsten Phasen der Entwicklung des Proletariats zeichneten,
verfolgten wir den mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet.

Alle bisherige Gesellschaft beruhte, wie wir gesehen haben, auf dem Gegensatz unterdrückender und unterdrückter Klassen.
Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen ihr Bedingungen gesichert sein, innerhalb derer sie wenigstens ihre knechtische Existenz fristen kann.
Der Leibeigene hat sich zum Mitglied der Kommune in der Leibeigenschaft herangearbeitet wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des feudalistischen Absolutismus.
Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben,
sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab.
Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch schneller als Bevölkerung und Reichtum.

Es tritt hiermit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen.
Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu werden.
Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, d.h., ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft.

Die wesentliche Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeoisklasse ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des Kapitals; die Bedingung des Kapitals ist die Lohnarbeit.
Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich.
Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.


II

Proletarier und Kommunisten

In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt?
Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien.
Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen.

Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier
die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch,
daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.

Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.
Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.
Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien,
die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind.

Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung. Die Abschaffung bisheriger Eigentumsverhältnisse ist nichts den Kommunismus eigentümlich Bezeichnendes.
Alle Eigentumsverhältnisse waren einem beständigen geschichtlichen Wandel, einer beständigen geschichtlichen Veränderung unterworfen.
Die Französische Revolution z.B. schaffte das Feudaleigentum zugunsten des bürgerlichen ab.
Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums.
Aber das moderne bürgerliche Privateigentum ist der letzte und vollendetste Ausdruck der Erzeugung und Aneignung der Produkte, die auf Klassengegensätzen, auf der Ausbeutung der einen durch die andern beruht.
In diesem Sinn können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen.
Man hat uns Kommunisten vorgeworfen, wir wollten das persönlich erworbene, selbsterarbeitete Eigentum abschaffen; das Eigentum, welches die Grundlage aller persönlichen Freiheit, Tätigkeit und Selbständigkeit bilde.
Erarbeitetes, erworbenes, selbstverdientes Eigentum! Sprecht ihr von dem kleinbürgerlichen, kleinbäuerlichen Eigentum, welches dem bürgerlichen Eigentum vorherging?
Wir brauchen es nicht abzuschaffen, die Entwicklung der Industrie hat es abgeschafft und schafft es täglich ab.

Oder sprecht ihr vom modernen bürgerlichen Privateigentum?
Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum?
Keineswegs. Sie schafft das Kapital, d.h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedingung vermehren kann, daß es neue Lohnarbeit erzeugt,
um sie von neuem auszubeuten.
Das Eigentum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit. Betrachten wir die beiden Seiten dieses Gegensatzes:

Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einzunehmen.
Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden.
Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht.

Wenn also das Kapital in ein gemeinschaftliches, allen Mitgliedern der Gesellschaft angehöriges Eigentum verwandelt wird, so verwandelt sich nicht persönliches Eigentum in gesellschaftliches. Nur der gesellschaftliche Charakter des Eigentums verwandelt sich.
Er verliert seinen Klassencharakter.

Kommen wir zur Lohnarbeit:
Der Durchschnittspreis der Lohnarbeit ist das Minimum des Arbeitslohnes, d.h. die Summe der Lebensmittel, die notwendig sind, um den Arbeiter als Arbeiter am Leben zu erhalten. Was also der Lohnarbeiter durch seine Tätigkeit sich aneignet, reicht bloß dazu hin,
um sein nacktes Leben wieder zu erzeugen.
Wir wollen diese persönliche Aneignung der Arbeitsprodukte zur Wiedererzeugung des unmittelbaren Lebens keineswegs abschaffen, eine Aneignung, die keinen Reinertrag übrigläßt, der Macht über fremde Arbeit geben könnte. Wir wollen nur den elenden Charakter dieser Aneignung aufheben, worin der Arbeiter nur lebt, um das Kapital zu vermehren, nur so weit lebt, wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt.
In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern.

In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht also die Vergangenheit über die Gegenwart, in der kommunistischen die Gegenwart über die Vergangenheit. In der bürgerlichen Gesellschaft ist das Kapital selbständig und persönlich, während das tätige Individuum unselbständig und unpersönlich ist.
Und die Aufhebung dieses Verhältnisses nennt die Bourgeoisie Aufhebung der Persönlichkeit und Freiheit! Und mit Recht. Es handelt sich allerdings um die Aufhebung der Bourgeois-Persönlichkeit, -Selbständigkeit und -Freiheit.
Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen bürgerlichen Produktionsverhältnisse den freien Handel, den freien Kauf und Verkauf.
Fällt aber der Schacher, so fällt auch der freie Schacher. Die Redensarten vom freien Schacher, wie alle übrigen Freiheitsbravaden unserer Bourgeoisie, haben überhaupt nur einen Sinn gegenüber dem gebundenen Schacher, gegenüber dem geknechteten Bürger des Mittelalters, nicht aber gegenüber der kommunistischen Aufhebung des Schachers, der bürgerlichen Produktionsverhältnisse und der Bourgeoisie selbst.
Ihr entsetzt euch darüber, daß wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben, es existiert gerade dadurch, daß es für neun Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, daß wir ein Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung voraussetzt.
Ihr werft uns mit einem Worte vor, daß wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir.
Von dem Augenblick an, wo die Arbeit nicht mehr in Kapital, Geld, Grundrente, kurz, in eine monopolisierbare gesellschaftliche Macht verwandelt werden kann, d.h. von dem Augenblick, wo das persönliche Eigentum nicht mehr in bürgerliches umschlagen kann,
von dem Augenblick an erklärt ihr, die Person sei aufgehoben.

Ihr gesteht also, daß ihr unter der Person niemanden anders versteht als den Bourgeois,
den bürgerlichen Eigentümer. Und diese Person soll allerdings aufgehoben werden.

Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen,
er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.

Man hat eingewendet, mit der Aufhebung des Privateigentums werde alle Tätigkeit aufhören, und eine allgemeine Faulheit einreißen.
Hiernach müßte die bürgerliche Gesellschaft längst an der Trägheit zugrunde gegangen sein; denn die in ihr arbeiten, erwerben nicht, und die in ihr erwerben, arbeiten nicht.
Das ganze Bedenken läuft auf die Tautologie hinaus, daß es keine Lohnarbeit mehr gibt, sobald es kein Kapital mehr gibt.

Alle Einwürfe, die gegen die kommunistische Aneignungs- und Produktionsweise der materiellen Produkte gerichtet werden, sind ebenso auf die Aneignung und Produktion der geistigen Produkte ausgedehnt worden. Wie für den Bourgeois das Aufhören des Klasseneigentums das Aufhören der Produktion selbst ist, so ist für ihn das Aufhören der Klassenbildung identisch mit dem Aufhören der Bildung überhaupt. Die Bildung, deren Verlust er bedauert, ist für die enorme Mehrzahl die Heranbildung zur Maschine.
Aber streitet nicht mit uns, indem ihr an euren bürgerlichen Vorstellungen von Freiheit, Bildung, Recht usw. die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums meßt. Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, wie euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse.
Die interessierte Vorstellung, worin ihr eure Produktions- und Eigentumsverhältnisse aus geschichtlichen, in dem Lauf der Produktion vorübergehenden Verhältnissen in ewige Natur- und Vernunftgesetze verwandelt, teilt ihr mit allen untergegangenen herrschenden Klassen. Was ihr für das antike Eigentum begreift, was ihr für das feudale Eigentum begreift, dürft ihr nicht mehr begreifen für das bürgerliche Eigentum.-
Aufhebung der Familie! Selbst die Radikalsten ereifern sich über diese schändliche Absicht der Kommunisten.
Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution.
Die Familie der Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung, und beide verschwinden mit dem Verschwinden des Kapitals.
Werft ihr uns vor, daß wir die Ausbeutung der Kinder durch ihre Eltern aufheben wollen? Wir gestehen dieses Verbrechen ein.
Aber, sagt ihr, wir heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen.
Und ist nicht auch eure Erziehung durch die Gesellschaft bestimmt?
Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse,
innerhalb derer ihr erzieht,
durch die direktere oder indirektere Einmischung der Gesellschaft,
vermittelst der Schule usw.?
Die Kommunisten erfinden nicht die Einwirkung der Gesellschaft auf die Erziehung;
sie verändern nur ihren Charakter,
sie entreißen die Erziehung dem Einfluß der herrschenden Klasse.

Die bürgerlichen Redensarten über Familie und Erziehung, über das traute Verhältnis von Eltern und Kindern werden um so ekelhafter, je mehr infolge der großen Industrie alle Familienbande für die Proletarier zerrissen und die Kinder in einfache Handelsartikel und Arbeitsinstrumente verwandelt werden.
Aber ihr Kommunisten wollt die Weibergemeinschaft einführen, schreit uns die ganze Bourgeoisie im Chor entgegen.
Der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktionsinstrument. Er hört, daß die Produktionsinstrumente gemeinschaftlich ausgebeutet werden sollen, und kann sich natürlich nichts anderes denken, als daß das Los der Gemeinschaftlichkeit die Weiber gleichfalls treffen wird.
Er ahnt nicht, daß es sich eben darum handelt, die Stellung der Weiber als bloßer Produktionsinstrumente aufzuheben.
Übrigens ist nichts lächerlicher als das hochmoralische Entsetzen unserer Bourgeois über die angebliche offizielle Weibergemeinschaft der Kommunisten. Die Kommunisten brauchen die Weibergemeinschaft nicht einzuführen, sie hat fast immer existiert.
Unsre Bourgeois, nicht zufrieden damit, daß ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, finden ein Hauptvergnügen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen.
Die bürgerliche Ehe ist in Wirklichkeit die Gemeinschaft der Ehefrauen.
Man könnte höchstens den Kommunisten vorwerfen,
daß sie an Stelle einer heuchlerisch versteckten eine offizielle, offenherzige Weibergemeinschaft einführen wollten.
Es versteht sich übrigens von selbst, daß mit Aufhebung der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Weibergemeinschaft, d.h. die offizielle und nichtoffizielle Prostitution, verschwindet.

Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland,
die Nationalität abschaffen. Die Arbeiter haben kein Vaterland.
Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.

Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse.
Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung.
In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.
Die Anklagen gegen den Kommunismus, die von religiösen, philosophischen und ideologischen Gesichtspunkten überhaupt erhoben werden, verdienen keine ausführlichere Erörterung.
Bedarf es tiefer Einsicht, um zu begreifen, daß mit den Lebensverhältnissen der Menschen, mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen, mit ihrem gesellschaftlichen Dasein, auch ihre Vorstellungen, Anschauungen und Begriffe, mit einem Worte auch ihr Bewußtsein sich ändert?
Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet? Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.
Man spricht von Ideen, welche eine ganze Gesellschaft revolutionieren; man spricht damit nur die Tatsache aus, daß sich innerhalb der alten Gesellschaft die Elemente einer neuen gebildet haben, daß mit der Auflösung der alten Lebensverhältnisse die Auflösung der alten Ideen gleichen Schritt hält.
Als die alte Welt im Untergehen begriffen war, wurden die alten Religionen von der christlichen Religion besiegt. Als die christlichen Ideen im 18. Jahrhundert den Aufklärungsideen unterlagen, rang die feudale Gesellschaft ihren Todeskampf mit der damals revolutionären Bourgeoisie. Die Ideen der Gewissens- und Religionsfreiheit sprachen nur die Herrschaft der freien Konkurrenz auf dem Gebiete des Wissens aus.
"Aber", wird man sagen, "religiöse, moralische, philosophische, politische, rechtliche Ideen usw. modifizieren sich allerdings im Lauf der geschichtlichen Entwicklung.
Die Religion, die Moral, die Philosophie, die Politik, das Recht erhielten sich stets in diesem Wechsel. Es gibt zudem ewige Wahrheiten, wie Freiheit, Gerechtigkeit usw.,
die allen gesellschaftlichen Zuständen gemeinsam sind.
Der Kommunismus aber schafft die ewigen Wahrheiten ab, er schafft die Religion ab,
die Moral, statt sie neu zu gestalten, er widerspricht also allen bisherigen geschichtlichen Entwicklungen."

Worauf reduziert sich diese Anklage?
Die Geschichte der ganzen bisherigen Gesellschaft bewegte sich in Klassengegensätzen,
die in den verschiedensten Epochen verschieden gestaltet waren.
Welche Form sie aber auch immer angenommen, die Ausbeutung des einen Teils der Gesellschaft durch den andern ist eine allen vergangenen Jahrhunderten gemeinsame Tatsache.
Kein Wunder daher, daß das gesellschaftliche Bewußtsein aller Jahrhunderte,
aller Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit zum Trotz, in gewissen gemeinsamen Formen sich bewegt, in Bewußtseinsformen, die nur mit dem gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes sich vollständig auflösen.

Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigentumsverhältnissen; kein Wunder, daß in ihrem Entwicklungsgange am radikalsten mit den überlieferten Ideen gebrochen wird.
Doch lassen wir die Einwürfe der Bourgeoisie gegen den Kommunismus.
Wir sahen schon oben, daß der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist.

Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats,
d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind. Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein.
Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:
Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.
Starke Progressivsteuer.
Abschaffung des Erbrechts.
Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen.
Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.
Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.
Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.
Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.
Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw. usw.
Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern.
Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf.

An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist. 

III

Sozialistische und kommunistische Literatur

1. Der reaktionäre Sozialismus

a) Der feudale Sozialismus

Die französische und englische Aristokratie war ihrer geschichtlichen Stellung nach dazu berufen, Pamphlete gegen die moderne bürgerliche Gesellschaft zu schreiben.
In der französischen Junirevolution von 1830, in der englischen Reformbewegung war sie noch einmal dem verhaßten Emporkömmling erlegen. Von einem ernsten politischen Kampfe konnte nicht mehr die Rede sein. Nur der literarische Kampf blieb ihr übrig.
Aber auch auf dem Gebiete der Literatur waren die alten Redensarten der Restaurationszeit unmöglich geworden. Um Sympathie zu erregen, mußte die Aristokratie scheinbar ihre Interessen aus dem Auge verlieren und nur im Interesse der exploitierten Arbeiterklasse ihren Anklageakt gegen die Bourgeoisie formulieren.
Sie bereitete so die Genugtuung vor, Schmählieder auf ihren neuen Herrscher zu singen und mehr oder minder unheilschwangere Prophezeiungen ihm ins Ohr raunen zu dürfen.

Auf diese Art entstand der feudalistische Sozialismus, halb Klagelied, halb Pasquill, halb Rückhall der Vergangenheit, halb Dräuen der Zukunft, mitunter die Bourgeoisie ins Herz treffend durch bitteres, geistreich zerreißendes Urteil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen.
Den proletarischen Bettelsack schwenkten sie als Fahne in der Hand, um das Volk hinter sich her zu versammeln. Sooft es ihnen aber folgte, erblickte es auf ihrem Hintern die alten feudalen Wappen und verlief sich mit lautem und unehrerbietigem Gelächter.
Ein Teil der französischen Legitimisten und das Junge England gaben dies Schauspiel zum besten.
Wenn die Feudalen beweisen, daß ihre Weise der Ausbeutung anders gestaltet war als die bürgerliche Ausbeutung, so vergessen sie nur, daß sie unter gänzlich verschiedenen und jetzt überlebten Umständen und Bedingungen ausbeuteten. Wenn sie nachweisen,
daß unter ihrer Herrschaft nicht das moderne Proletariat existiert hat, so vergessen sie nur, daß eben die moderne Bourgeoisie ein notwendiger Sprößling ihrer Gesellschaftsordnung war.

Übrigens verheimlichen sie den reaktionären Charakter ihrer Kritik so wenig,
daß ihre Hauptanklage gegen die Bourgeoisie eben darin besteht, unter ihrem Regime entwickle sich eine Klasse, welche die ganze alte Gesellschaftsordnung in die Luft sprengen werde.

Sie werfen der Bourgeoisie mehr noch vor, daß sie ein revolutionäres Proletariat, als daß sie überhaupt ein Proletariat erzeugt.
In der politischen Praxis nehmen sie daher an allen Gewaltmaßregeln gegen die Arbeiterklasse teil, und im gewöhnlichen Leben bequemen sie sich, allen ihren aufgeblähten Redensarten zum Trotz die goldnen Äpfel aufzulesen und Treue, Liebe, Ehre mit dem Schacher in Schafswolle, Runkelrüben und Schnaps zu vertauschen.
Wie der Pfaffe immer Hand in Hand ging mit dem Feudalen, so der pfäffische Sozialismus mit dem feudalistischen.
Nichts leichter, als dem christlichen Asketismus einen sozialistischen Anstrich zu geben.
Hat das Christentum nicht auch gegen das Privateigentum, gegen die Ehe, gegen die Staat geeifert? Hat es nicht die Wohltätigkeit und den Bettel, das Zölibat und die Fleischesertötung, das Zellenleben und die Kirche an ihrer (69) Stelle gepredigt?
Der christliche Sozialismus ist nur das Weihwasser, womit der Pfaffe den Ärger des Aristokraten einsegnet.


b) Kleinbürgerlicher Sozialismus

Die feudale Aristokratie ist nicht die einzige Klasse, welche durch die Bourgeoisie gestürzt wurde, deren Lebensbedingungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft verkümmerten und abstarben. Das mittelalterliche Pfahlbürgertum und der kleine Bauernstand waren die Vorläufer der modernen Bourgeoisie.
In den weniger industriell und kommerziell entwickelten Ländern vegetiert diese Klasse noch fort neben der aufkommenden Bourgeoisie. 


In den Ländern, wo sich die moderne Zivilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbürgerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbständiger Teil der modernen Gesellschaft gänzlich verschwinden und im Handel, in der Manufaktur, in der Agrikultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden.
In Ländern wie Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. Sismondi ist das Haupt dieser Literatur nicht nur für Frankreich, sondern auch für England.
Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen.
Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach, die Konzentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Überproduktion, die Krisen, den notwendigen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Mißverhältnisse in der Verteilung des Reichtums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen untereinander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familienverhältnisse, der alten Nationalitäten.

Seinem posititiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions
- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse,
die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopisch zugleich. Zunftwesen in der Manufaktur und patriarchalische Wirtschaft auf dem Lande, das sind seine letzten Worte.

In ihrer weiteren Entwicklung hat sich diese Richtung in einen feigen Katzenjammer verlaufen.

c) Der deutsche oder "wahre" Sozialismus

Die sozialistische und kommunistische Literatur Frankreichs, die unter dem Druck einer herrschenden Bourgeoisie entstand und der literarische Ausdruck des Kampfes gegen diese Herrschaft ist, wurde nach Deutschland eingeführt zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie soeben ihren Kampf gegen den feudalen Absolutismus begann.
Deutsche Philosophen, Halbphilosophen und Schöngeister bemächtigten sich gierig dieser Literatur und vergaßen nur, daß bei der Einwanderung jener Schriften aus Frankreich die französischen Lebensverhältnisse nicht gleichzeitig nach Deutschland eingewandert waren. Den deutschen Verhältnissen gegenüber verlor die französische Literatur alle unmittelbar praktische Bedeutung und nahm ein rein literarisches Aussehen an.
Als müßige Spekulation über die Verwirklichung des menschlichen Wesens mußte sie erscheinen.
So hatten für die deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts die Forderungen der ersten französischen Revolution nur den Sinn, Forderungen der "praktischen Vernunft" im allgemeinen zu sein, und die Willensäußerungen der französischen Bourgeoisie bedeuteten in ihren Augen die Gesetze des reinen Willens, des Willens, wie er sein muß, des wahrhaft menschlichen Willens.
Die ausschließliche Arbeit der deutschen Literaten bestand darin, die neuen französischen Ideen mit ihrem alten philosophischen Gewissen in Einklang zu setzen oder vielmehr von ihrem philosophischen Standpunkte aus die französischen Ideen sich anzueignen.
Diese Aneignung geschah in derselben Weise, wodurch man sich überhaupt eine fremde Sache aneignet, durch die Übersetzung.

Es ist bekannt, wie die Mönche Manuskripte, worauf die klassischen Werke der alten Heidenzeit verzeichnet waren, mit abgeschmackten katholischen Heiligengeschichten überschrieben.
Die deutschen Literaten gingen umgekehrt mit der profanen französischen Literatur um. Sie schrieben ihren philosophischen Unsinn hinter das französische Original. Z.B. hinter die französische Kritik der Geldverhältnisse schrieben sie "Entäußerung des menschlichen Wesens", hinter die französische Kritik des Bourgeoisstaates schrieben sie "Aufhebung der Herrschaft des abstrakten Allgemeinen" usw.

Die Unterschiebung dieser philosophischen Redensarten unter die französischen Entwicklungen tauften sie "Philosophie der Tat", "wahrer Sozialismus", "deutsche Wissenschaft des Sozialismus", usw.
Die französische sozialistisch-kommunistische Literatur wurde so förmlich entmannt.
Und da sie in der Hand des Deutschen aufhörte, den Kampf einer Klasse gegen die andre auszudrücken, so war der Deutsche sich bewußt, die "französische Einseitigkeit" überwunden, statt wahrer Bedürfnisse das Bedürfnis der Wahrheit und statt der Interessen des Proletariers die Interessen des menschlichen Wesens, des Menschen überhaupt vertreten zu haben, des Menschen, der keiner Klasse, der überhaupt nicht der Wirklichkeit, der nur dem Dunsthimmel der philosophischen Phantasie angehört.

Dieser deutsche Sozialismus, der seine unbeholfenen Schulübungen so ernst und feierlich nahm und so marktschreierisch ausposaunte, verlor indes nach und nach seine pedantische Unschuld. Der Kampf der deutschen, namentlich der preußischen Bourgeoisie gegen die Feudalen und das absolute Königtum, mit einem Wort, die liberale Bewegung wurde ernsthafter.
Dem "wahren" Sozialismus war so erwünschte Gelegenheit geboten, der politischen Bewegung die sozialistische Forderung gegenüberzustellen, die überlieferten Anatheme gegen den Liberalismus, gegen den Repräsentativstaat, gegen die bürgerliche Konkurrenz, bürgerliche Preßfreiheit, bürgerliches Recht, bürgerliche Freiheit und Gleichheit zu schleudern und der Volksmasse vorzupredigen, wie sie bei dieser bürgerlichen Bewegung nichts zu gewinnen, vielmehr alles zu verlieren habe.
Der deutsche Sozialismus vergaß rechtzeitig, daß die französische Kritik, deren geistloses Echo er war, die moderne bürgerliche Gesellschaft mit den entsprechenden materiellen Lebensbedingungen und der angemessenen politischen Konstitution vorausgesetzt ,
lauter Voraussetzungen, um deren Erkämpfung es sich erst in Deutschland handelte.

Er diente den deutschen absoluten Regierungen mit ihrem Gefolge von Pfaffen, Schulmeistern, Krautjunkern und Bürokraten als erwünschte Vogelscheuche gegen die drohend aufstrebende Bourgeoisie.
Er bildete die süßliche Ergänzung zu den bitteren Peitschenhieben und Flintenkugeln,
womit dieselben Regierungen die deutschen Arbeiteraufstände bearbeiteten.

Ward der "wahre" Sozialismus dergestalt eine Waffe in der Hand der Regierungen gegen die deutsche Bourgeoisie, so vertrat er auch unmittelbar ein reaktionäres Interesse, das Interesse der deutschen Pfahlbürgerschaft. 

In Deutschland bildet das vom 16. Jahrhundert her überlieferte und seit der Zeit in verschiedener Form hier immer neu wieder auftauchende Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände.

Seine Erhaltung ist die Erhaltung der bestehenden deutschen Zustände. Von der industriellen und politischen Herrschaft der Bourgeoisie fürchtet es den sichern Untergang, einerseits infolge der Konzentration des Kapitals, andrerseits durch das Aufkommen eines revolutionären Proletariats. Der "wahre" Sozialismus schien ihm beide Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er verbreitete sich wie eine Epidemie.

Das Gewand, gewirkt aus spekulativem Spinnweb, überstickt mit schöngeistigen Redeblumen, durchtränkt von liebesschwülem Gemütstau, dies überschwengliche Gewand, worin die deutschen Sozialisten ihre paar knöchernen "ewigen Wahrheiten" einhüllten, vermehrte nur den Absatz ihrer Ware bei diesem Publikum. Seinerseits erkannte der deutsche Sozialismus immer mehr seinen Beruf, der hochtrabende Vertreter dieser Pfahlbürgerschaft zu sein. 


Er zog die letzte Konsequenz, indem er direkt gegen die "rohdestruktive" Richtung des Kommunismus auftrat und seine unparteiische Erhabenheit über alle Klassenkämpfe verkündete. Mit sehr wenigen Ausnahmen gehört alles, was in Deutschland von angeblich sozialistischen und kommunistischen Schriften zirkuliert, in den Bereich dieser schmutzigen, entnervenden Literatur. 2. Der konservative oder Bourgeoissozialismus
Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.
Es gehören hierher: Ökonomisten, Philantrophen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art.
Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozialismus ausgearbeitet worden.

Als Beispiel führen wir Proudhons "Philosophie de la misÆre" an.
Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervor gehenden Kämpfe und Gefahren.
Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat.
Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor.
Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus.
Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife.

Eine zweite, weniger systematische, nur mehr praktische Form dieses Sozialismus suchte der Arbeiterklasse jede revolutionäre Bewegung zu verleiden,
durch den Nachweis, wie nicht diese oder jene politische Veränderung, sondern nur eine Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse, der ökonomischen Verhältnisse ihr von Nutzen sein könne. Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse,
die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen,
die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen.

Seinen entsprechenden Ausdruck erreicht der Bourgeoisiesozialismus erst da, wo er zur bloßen rednerischen Figur wird.
Freier Handel! im Interesse der arbeitenden Klasse; Schutzzölle! im Interesse der arbeitenden Klasse; Zellengefängnisse! im Interesse der arbeitenden Klasse; das ist das letzte, das einzige ernstgemeinte Wort des Bourgeoisiesozialismus.
Der Sozialismus der Bourgeoisie besteht eben in der Behauptung, daß die Bourgeois Bourgeois sind - im Interesse der arbeitenden Klasse.
3. Der kritisch-utopistische Sozialismus oder Kommunismus
Wir reden hier nicht von der Literatur, die in allen großen modernen Revolutionen die Forderungen des Proletariats aussprach. (Schriften Babeufs etc.)
Die ersten Versuche des Proletariats, in einer Zeit allgemeiner Aufregung, in der Periode des Umsturzes der feudalen Gesellschaft direkt sein eigenes Klasseninteresse durchzusetzen, scheiterten notwendig an der unentwickelten Gestalt des Proletariats selbst wie an dem Mangel der materiellen Bedingungen seiner Befreiung, die eben erst das Produkt der bürgerliche Epoche sind.
Die revolutionäre Literatur, welche diese ersten Bewegungen des Proletariats begleitete,
ist dem Inhalt nach notwendig reaktionär. Sie lehrt einen allgemeinen Asketismus und eine rohe Gleichmacherei.

Die eigentlich sozialistischen und kommunistischen Systeme, die Systeme St.-Simons, Fouriers, Owens usw., tauchen auf in der ersten, unentwickelten Periode des Kampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die wir oben dargestellt haben. (Siehe Bourgeoisie und Proletariat.)
Die Erfinder dieser Systeme sehen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst.
Aber sie erblicken auf der Seite des Proletariats keine geschichtliche Selbsttätigkeit,
keine ihm eigentümliche politische Bewegung.

Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Industrie, finden sie ebensowenig die materiellen Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor und suchen nach einer sozialen Wissenschaft, nach sozialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu schaffen.
An die Stelle der gesellschaftlichen Tätigkeit muß ihre persönlich erfinderische Tätigkeit treten, an die Stelle der geschichtlichen Bedingungen der Befreiung phantastische, an die Stelle der allmählich vor sich gehenden Organisation des Proletariats zur Klasse eine eigens ausgeheckte Organisation der Gesellschaft.
Die kommende Weltgeschichte löst sich für sie auf in die Propaganda und die praktische Ausführung ihrer Gesellschaftspläne. Sie sind sich zwar bewußt, in ihren Plänen hauptsächlich das Interesse der arbeitenden Klasse als der leidendsten Klasse zu vertreten. Nur unter diesem Gesichtspunkt der leidendsten Klasse existiert das Proletariat für sie.

Die unentwickelte Form des Klassenkampfes wie ihre eigene Lebenslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz erhaben zu sein glauben.
Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschaftsglieder, auch der bestgestellten, verbessern.
Sie appellieren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied,
ja vorzugsweise an die herrschende Klasse. Man braucht ihr System ja nur zu verstehen,
um es als den bestmöglichen Plan der bestmöglichen Gesellschaft anzuerkennen.

Sie verwerfen daher alle politische, namentlich alle revolutionäre Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen und versuchen, durch kleine, natürlich fehlschlagende Experimente, durch die Macht des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen.
Die phantastische Schilderung der zukünftigen Gesellschaft entspringt in einer Zeit,
wo das Proletariat noch höchst unentwickelt ist,
also selbst noch phantastisch seine eigene Stellung auffaßt, seinem ersten ahnungsvollen Drängen nach einer allgemeinen Umgestaltung der Gesellschaft.

Die sozialistischen und kommunistischen Schriften bestehen aber auch aus kritischen Elementen. Sie greifen alle Grundlagen der bestehenden Gesellschaft an.
Sie haben daher höchst wertvolles Material zur Aufklärung der Arbeiter geliefert.
Ihre positiven Sätze über die zukünftige Gesellschaft, z.B. Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, der Familie, des Privaterwerbs, der Lohnarbeit, die Verkündigung der gesellschaftlichen Harmonie, die Verwandlung des Staates in eine bloße Verwaltung der Produktion
- alle diese ihre Sätze drücken bloß das Wegfallen des Klassengegensatzes aus,
der eben erst sich zu entwickeln beginnt, den sie nur noch in seiner ersten gestaltlosen Unbestimmtheit kennen. Diese Sätze selbst haben daher noch einen rein utopistischen Sinn.

Die Bedeutung des kritisch-utopistischen Sozialismus oder Kommunismus steht im umgekehrten Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung.
In demselben Maße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und gestaltet,
verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phantastische Bekämpfung desselben allen praktischen Wert, alle theoretische Berechtigung.
Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär,
so bilden ihre Schüler jedesmal reaktionäre Sekten.
Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der geschichtlichen Fortentwicklung des Proletariats. 


Sie suchen daher konsequent den Klassenkampf wieder abzustumpfen und die Gegensätze zu vermitteln. Sie träumen noch immer die versuchsweise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalanstere, Gründung von Home-Kolonien, Errichtung eines kleinen Ikariens - Duodezausgabe des neuen Jerusalems -,
und zum Aufbau aller dieser spanischen Schlösser müssen sie an die Philanthropie der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appellieren.


Allmählich fallen sie in die Kategorie der oben geschilderten reaktionären oder konservativen Sozialisten und unterscheiden sich nur noch von ihnen durch mehr systematische Pedanterie, durch den fanatischen Aberglauben an die Wunderwirkungen ihrer sozialen Wissenschaft. Sie treten daher mit Erbitterung aller politischen Bewegung der Arbeiter entgegen,
die nur aus blindem Unglauben an das neue Evangelium hervorgehen konnte.

Die Owenisten in England, die Fourieristen in Frankreich
reagieren dort gegen die Chartisten, hier gegen die Reformisten.


IV

Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen oppositionellen Parteien

Nach Abschnitt II versteht sich das Verhältnis der Kommunisten zu den bereits konstituierten Arbeiterparteien von selbst, also ihr Verhältnis zu den Chartisten in England und den agrarischen Reformern in Nordamerika. 

Sie kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung. In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozial-demokratische Partei an gegen die konservative und radikale Bourgeoisie, ohne darum das Recht aufzugeben, sich kritisch zu den aus der revolutionären Überlieferung herrührenden Phrasen und Illusionen zu verhalten.

In der Schweiz unterstützen sie die Radikalen, ohne zu verkennen,
daß diese Partei aus widersprechenden Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois.

Unter den Polen unterstützen die Kommunisten die Partei,
welche eine agrarische Revolution zur Bedingung der nationalen Befreiung macht,
dieselbe Partei, welche die Krakauer Insurrektion von 1846 ins Leben rief.


In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei.
Sie unterläßt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten, damit die deutschen Arbeiter sogleich die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, welche die Bourgeoisie mit ihrer Herrschaft herbeiführen muß, als ebenso viele Waffen gegen die Bourgeoisie kehren können,
damit, nach dem Sturz der reaktionären Klassen in Deutschland,
sofort der Kampf gegen die Bourgeoisie selbst beginnt. 


Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit,
weil Deutschland am Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht und weil es diese Umwälzung unter fortgeschrittneren Bedingungen der europäischen Zivilisation überhaupt und mit einem viel weiter entwickelten Proletariat vollbringt als England im 17. und Frankreich im 18. Jahrhundert, die deutsche bürgerliche Revolution also nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann.

Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. 

In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor. Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.
Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. 

Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

Geschrieben im Dezember 1847/ Januar 1848.

 
Marx/Engels: MEW, Bd. 4, Berlin 1983



Weblink:

Manifest der Kommunistischen Partei - www.abcphil.de